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Kein Name, aber ein Grab – Exhumierung und Einbettung in Polen

Volksbund birgt zwei Gefallene mit ungeklärtem Schicksal

Noch immer sucht der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Kriegstote im Ausland, birgt und bestattet sie – auch in Polen. Soldaten, die die Umbetter in Bandegast (polnisch: Będgoszcz) exhumiert hatten, fanden im Juni ihre letzte Ruhestätte auf der Kriegsgräberstätte Neumark (polnisch: Stare Czarnowo). 

 

Mitte März in dem kleinen Dorf Bandegast. An diesem Frühlingstag weht ein eisiger Wind, der die Augen tränen und die Finger steif werden lässt. Die grelle Märzsonne wärmt die Menschen kaum, die an einem Waldstück an der Straße nahe des Dorfrandes stehen.

Ein Filmteam des NDR und ein Fotograf der amerikanischen Nachrichtenagentur AP begleiten die Suche nach Kriegstoten. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist das Interesse der Medien groß. 

 

Was ist vom Krieg übriggeblieben?

Der Volksbund weiß dasEr ist die Organisation, die auch nach Jahrzehnten die Toten der Kriege sucht und alles daransetzt, ihre Schicksale zu klären. Rund 5,4 Millionen Datensätze sind in der Gräbersuche Online zu finden – so viele Kriegstote und Vermisste wurden erfasst. Der Volksbund birgt jährlich noch rund 10.000 Tote. Als er die Arbeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Osteuropa aufnehmen konnte, waren es zwischen 40.000 und 50.000 Tote jährlich.  

Diese Exhumierung leitet Thomas Czàbanski, Historiker und Chef der polnischen Firma Pomost. Das heißt auf Deutsch: „Brücke“. Pomost sucht seit über 20 Jahren im Auftrag des Volksbundes nach Kriegstoten in Westpolen, dem früheren Pommern. Der Volksbund hatte Kenntnis von sieben Toten, die in dieser Gegend begraben sein sollten. Doch man fand viel mehr: Im Winter 2024 waren bereits 34 Gefallene geborgen.
 

Leichenschatten in einem Meter Tiefe

Eine Fläche von 30 Quadratmetern ist abgesteckt. Der Baggerfahrer zieht die Schaufel vorsichtig über den Boden und hebt zentimeterweise die Bodenkrume ab. Das Erdreich ist stark verwurzelt. Auch Kunststoffreste und Kabel liegen in der Erde. Die Bodenschichten weisen Anomalien und Farbveränderungen auf. Vermutlich wurde der Boden hier vor einiger Zeit bewegt.  

In der Tiefe von 110 Zentimetern wird der Boden dunkler. Tomasz Czàbanski gibt dem Baggerfahrer ein Handzeichen, die Arbeit zu stoppen. „Diese dunklen Stellen nennen wir Leichenschatten“, erklärt Artur Berger den Journalisten. Als Bereichsleiter ist er für den Volksbund-Umbettungsdienst unter anderem in Polen zuständig. „Es zeigt, dass hier Zersetzungsprozesse stattgefunden haben.“
 

Erst Spaten, dann Pinsel

Berger steigt in die Grube und prüft die Beschaffenheit der Erdschichten mit einer Sondiernadel. Behutsam tragen die Umbetter die Schichten mit dem Spaten weiter ab. Als die ersten Knochen sichtbar werden, greifen sie zu Pinseln, um die Gebeine so vorsichtig wie möglich von Sand und Erde zu befreien. 

Die Männer arbeiten sich von den Füßen bis zum Schädel vor. Im Brustkorb des Toten glänzt es metallisch: Es ist die Erkennungsmarke. Wenn sie noch lesbar ist, stehen die Chancen gut, dass der Tote identifiziert werden kann. Tomasz Czàbanski nimmt sie prüfend in die Hand. 

Die Schrift auf der Erkennungsmarke ist teilweise stark zersetzt. Möglicherweise gelingt es den Mitarbeitern im Berliner Bundesarchiv, sie durch ein Ammoniakbad wieder lesbar zu machen. 

Schlag mit stumpfem Gegenstand

Nach einiger Zeit sind zwei Skelette zu erkennen. Die Schädel weisen starke Verletzungen auf. Vorsichtig nimmt Artur Berger einen in die Hand und begutachtet ihn. „Kein Einschussloch zu erkennen. Die Verletzung ist vermutlich auch die Todesursache. Möglicherweise ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand.“  Der zweite Tote weist ähnliche Spuren von Gewalt auf. 

Die Anwesenden schweigen. Ihre Gedanken sind leicht zu erraten. Sind die beiden Soldaten mit einem Gewehrkolben erschlagen worden? Sind sie feindlichen Truppen in die Hände gefallen? Warum wurden sie getötet? Der Krieg war Anfang 1945 längst entschieden. Das Schicksal dieser Toten zu klären, wird die gemeinsame Aufgabe von Volksbund und Bundesarchiv sein. Ob es gelingt? 
 

Blick in die Geschichte

Die Division Denecke wurde im Januar 1945 aus den Ersatztruppen der Division 471 aufgestellt. Am 24. Januar wurde sie in Hannover auf die Bahn verladen und nach Osten transportiert. Am 25. Januar erreichte der Divisionsstab Küstrin. Schneidemühl sollte der Sammlungsort sein, aber dazu kam es nicht mehr.

Ein Großteil der Transporte rollte in russische Panzerspitzen hinein. Die Division musste immer weiter zurückweichen, konnte aber bis zum 6. Februar 1945 die Orte Fidichow, Bahn, Pyritz, die Enge zwischen Madü-See und Plön-See sowie Stargard halten. Am 7. Februar verlegte die Division in den Brückenkopf Greifenhagen. 
 

Nachricht aus dem Bundesarchiv

Im Mai erreicht den Volksbund die Nachricht aus Berlin: Die Erkennungsmarke konnte trotz aller Bemühungen nicht mehr so aufbereitet werden, dass die Inschrift ausgelesen werden konnte. Der Tote mit der Erkennungsmarke bleibt unbekannt, ebenso der zweite Tote. Die Hoffnung aller Beteiligten, ihn und vielleicht auch seinen Kameraden zu identifizieren, möglicherweise sogar noch Angehörige zu finden, hat sich nicht erfüllt. 
 

Letzte Ruhe in Stare Czarnowo

Am 26. Juni werden die beiden Männer auf der Kriegsgräberstätte Neumark (Stare Czarnowo) nahe Stettin (polnisch: Szczecin) eingebettet, zwei von 224 Toten. 212 Soldaten und 12 Zivilisten finden an diesem gewittrigen Tag an diesem Ort ihre letzte Ruhe. 

Zahlreiche Menschen sind zur Einbettung gekommen, unter ihnen viele Schülerinnen und Schüler der örtlichen Europaschule. Einer von ihnen verliest das Totengedenken. Die Mädchen und Jungen legen Blumen und streuen Erde auf die kleinen Särge. 
 

Friede fängt bei Euch an

Militärpfarrer Bernhard Riedel segnet die Toten. „Überall gibt es Fortschritte, in der Technik, in der Entwicklung, nur beim Menschen nicht“, stellt er lakonisch mit dem Blick auf die unfriedliche Gegenwart fest. Zeitzeuge Dr. Karl-Heinz Kuhlmann erzählt, wie er das Kriegsende 1945 erlebt hat. Er fordert die Jugendlichen auf, mutig zu sein und sich für den Frieden einzusetzen: „Der Friede fängt bei Euch an zuhause, in Eurer Klasse, in Eurer Schule.“ 

Das deutsche Totensignal ist das Lied „Der guten Kamerad“, das üblicherweise auf der Trompete gespielt wird. Heute singen es vier Männer aus dem Penkuner Chor. Gerd Hamm, Vorsitzender des örtlichen Volksbund-Kreisverbandes, bedankt sich bei den Besucherinnen und Besuchern. Als sich die Kriegsgräberstätte leert, beginnt der Bagger, die Särge mit Erde zu bedecken. Danach legt sich wieder Stille über die Kriegsgräberstätte.  
 

Der Volksbund ist...

… ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht, birgt und würdig bestattet. Mehr als 10.000 waren es im vergangenen Jahr. Der Volksbund pflegt ihre Gräber in 45 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 38.000 junge Menschen. Für seine Arbeit ist er dringend auf Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen.
 

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