Aufmerksame Beobachter am Rande der Grube: Umbetter Joachim Kozlowski wird bei der Exhumierung der Gebeine eines polnischen Zwangsarbeiters von Journalisten begleitet. (© Diane Tempel-Bornett)
27. August 1942: „Exekutiert und im Wald begraben“
Volksbund bettet Gebeine des Zwangsarbeiters Josef Rewut auf den Friedhof Fienerode in Sachsen-Anhalt um
82 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod erhält ein polnischer Zwangsarbeiter ein würdiges Grab. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. exhumiert die Gebeine, begleitet von der BILD-Zeitung und einem schwedischen Kamerateam. 80 Jahre Kriegsende ist der Anlass für ihre Recherche zu dem „Polengrab” als besonderem Beispiel für die Volksbund-Arbeit.
Ein Waldstück im Jerichower Land, nahe Fienerode, einem Ortsteil von Genthin. Die Stelle ist schwer zu finden, der Grabstein verwittert, die Inschrift unleserlich. Wer liegt dort begraben, mitten im Wald? „Im Dorf wurde es immer das ‚Polengrab‘ genannt“, erklärt Dr. Christian Kühnel, Tierarzt und Heimatforscher aus Genthin.
Unruhe in der Idylle

An diesem sonnigen Morgen herrscht Unruhe in dem sonst ruhigen Wald. Ein Minibagger steht neben einem Erdhaufen. Der Baggerfahrer hat schon früh mit der Arbeit angefangen, denn Joachim Kozlowski, Umbettungsleiter des Volksbundes im Inland, steht bereits in der Grube.
An ihrem Rand beobachten eine Volksbund-Mitarbeiterin und zwei Heimatforscher das Geschehen – eine Mitarbeiterin der Stadt Genthin und ein Mitarbeiter des Innenministeriums Sachsen-Anhalt. Dokumentiert wird das Ganze von einem Fotografen der BILD-Zeitung und einem schwedischen Kamerateam. Die beiden Männer produzieren einen Beitrag für den größten schwedischen Fernsehsender TV 4.
Volksbund-Porträt für Schweden
Jona Kallgren, Korrespondent für Deutschland, erzählt, dass in Schweden kaum jemand etwas mit dem Volksbund und seiner Arbeit verbinden kann. Schweden, das freundliche Urlaubsland, beliebt bei Deutschen, hat seit 200 Jahren keinen Krieg erlebt.
„Bei uns kann sich keiner vorstellen, dass Ihr noch Tote aus dem Zweiten Weltkrieg ausbettet”, erzählt Jona. Vom Zweiten Weltkrieg habe man in Schweden kaum etwas mitbekommen – „kein Thema für uns.“ Auch das ist ein Grund, warum er die Arbeit des Volksbundes porträtieren will.
Alte, umstrittene Geschichten
Das „Polengrab“ – was steckt dahinter? Nach 80 Jahren wird noch über dieses Thema getuschelt und diskutiert. Als sich herumsprach, dass der Tote auf dem Gemeindefriedhof bestattet werden sollte, kamen die alten, umstrittenen Geschichten wieder hoch. Vielleicht brachen auch alte Wunden auf.
Es wird erzählt, dass dem polnischen Kriegsgefangenen ein Liebesverhältnis zu einer deutschen Frau, der Tochter eines Bauern, vorgeworfen worden sei. Darauf stand im Krieg die Todesstrafe. Ohne ein ordentliches Verfahren wurde der junge Pole am 27. August 1942 von Bauern des Dorfes gehenkt. Seine Leiche wurde im abgelegenen Wald vergraben.
Was ist wahr?
Der Vorwurf sei falsch gewesen, wird im Dorf noch Jahrzehnte nach Kriegsende erzählt. Ein verheirateter Bauer habe sich einer jungen Frau genähert und den wehrlosen Polen zu Unrecht beschuldigt. Die Hintergründe sind nach mehr als 82 Jahren nicht zu klären. Unstrittig ist, dass es im Dorf ein Opfer von Unrecht und Gewalt gegeben hat. Einigen Leuten wäre es lieber, die Geschichte ruhen zu lassen. Auch die Umbettung ist vor Ort umstritten.
Es bleibt die Tatsache, dass sich ein einsames Grab aus dem Zweiten Weltkrieg im Wald befand. „Exekutiert und im Wald begraben“, wie es auf einer jetzt aufgefundenen Karteikarte des Suchdienstes heißt. Der Name des Toten war bald vergessen, nachdem 1945 alle polnischen Kriegsgefangen das Dorf verlassen hatten. Ob Angehörige auf ihn gewartet haben?
Recherchen zu Josef Rewut vor 50 Jahren
Schon Anfang der 1970er Jahre habe ein Lehrer aus Genthin mit seinen Schülern versucht, die wahre Geschichte zu recherchieren, erzählt Christan Kühnel. Mit Hilfe der „Arolsen Archives” fand er heraus, dass der polnische Soldat Josef Rewut schon1939 in Kriegsgefangenschaft geraten und im Stammlager Altengrabow, 20 Kilometer entfernt, interniert worden war. Er arbeitete auf einem Bauernhof.
Kamm und Medaillon

Die Situation ist fast unwirklich. Die Sonne leuchtet durch die Blätter, die Vögel singen, nur das Kratzen der Schaufel irritiert. Joachim Kozlowski trägt vorsichtig von Hand weitere Erdschichten ab. In 1,80 Meter Tiefe stößt er auf Lederstiefel. Er arbeitet sich weiter von den Füßen Richtung Kopf vor. Auf Höhe der Hüfte findet er Spiegelscherben und einen Kamm. Wahrscheinlich trug Josef Rewut beides in der Tasche.
Auf Brusthöhe glitzert etwas. Es ist ein kleines Medaillon. Darauf ist eine weibliche Gestalt geprägt. Vermutlich ein Heiligenmedaillon, vielleicht von einer Wallfahrt? Oder hat die Mutter dem jungen Mann das Medaillon zum Schutz mitgegeben, als er in den Krieg ziehen musste?
Grab auf dem Gemeindefriedhof

Nun werden die Reste der Jacke erkennbar. „Wahrscheinlich hat man ihn von der Arbeit weggeholt und dann aufgehängt. Da gab es sicher kein Gerichtsverfahren …“, murmelt jemand. Inzwischen ist Joachim Kozlowski am Schädel des Toten angelangt.
Von den Halswirbelknochen ist kaum noch etwas übrig. „Alles stark zersetzt“ sagt der Experte. Er legt die sterblichen Überreste behutsam in eine graue Kunststoffschale. Das Medaillon und die Beifunde werden extra verpackt. Christian Kühnel wird versuchen, über das Medaillon noch etwas herauszufinden.
„Zurück in die Gemeinschaft”
Am selben Nachmittag erhält Josef Rewut seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof in Fienerode. Dort, wo noch heute gemunkelt wird. Gerechtigkeit ist ihm nicht widerfahren. Doch Christian Kühnel sagt abschließend: „Ich hatte stark den Eindruck, dass wir nach vielen Jahren ein vergessenes Opfer des Krieges zurück in die menschliche Gemeinschaft geholt und ihm seine Rechte und seine Würde zurückgegeben haben.”

„Wir alle haben getan, was wir konnten, um Josef Rewut seinen Namen, seine Geschichte und eine würdevolle Ruhestätte zu geben”, sagt Kühnel weiter. „Ich bin sicher, dass wir damit auch einen Wunsch seiner Familie erfüllt haben. Vielleicht erfährt sie ja eines Tages davon.“
Nachtrag: Das Medaillon ist eine „Wundertätige Medaille“. Wahrscheinlich wurde sie beim Besuch eines Marien-Wallfahrtsortes erworben. Sie steht für den Glauben an die Gnade Marias, für ihren Schutz und für Liebe.
Der Volksbund ist ...
… ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht, birgt und würdig bestattet. Mehr als 10.000 waren es im vergangenen Jahr. Der Volksbund pflegt ihre Gräber in 45 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 38.000 junge Menschen. Für seine Arbeit ist der Volksbund dringend auf Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen.
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